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Dülken

 

Am Freitagabend fahre ich gerne und oft zum Alten Markt nach Dülken, um dort eine leckere, lokale Spezialität zu essen. Im Laternchen, einer ehemaligen Kneipe, gibt es einmal in der Woche unglaublich geile Burger. Was Chuck, der Besitzer und Namensgeber der Brutzelstube von Samstag bis Donnerstag macht, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht singt er in seiner Freizeit ja ebenso viel und gerne, wie in seiner Küche!? Neben diversen Burgern macht der Texaner auch hervorragende Spare Ribs. Dafür lohnt auch ein langer ritt auf dem Drahtesel über die ausgedörrten Felder dies- und jenseits der A 61, in sengender Sommersonne! Der Alte Markt in Dülken ist ein sehr schöner Ort, mit dem ich viele Erinnerungen verbinde. In meiner Kindheit war ich dort oft zum Eisessen mit meinen Großeltern, die auf der Waldstraße am Stadtgarten lebten. Im Stadtgarten gab es früher eine Radrennbahn, die heutzutage halb verfallen ist und jetzt auf der Innenfläche zwei Tennisplätze beherbergt. In den 80er und 90er Jahren war Dülken für viele Jugendliche das „Little London“ am Niederrhein. Es gab sogar Punks, die tagsüber am Brunnen vor der Cornelius Kirche rumlümmelten und abends in der Kulle oder dem Moskito mit ihren Lümmeleien weitermachten. Das Mos ist legendär und ich bekomme immer ein breites Grinsen im Gesicht, wenn ich daran zurückdenke! Leider ist das Moskito ebenso Geschichte, wie die Lebendigkeit des kleinen Städtchens. In der Innenstadt gibt es heute leider sehr viele leerstehende Geschäfte. Die Statue von Tien Anton an der Blauensteinstraße ist mittlerweile fast das lebendigste, was die Stadt, abseits des Alten Markts zu bieten hat. Die Statue zeigt das Dülkener Original Peter Anton Stams alias Tien Anton, der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Lebensunterhalt als Tagelöhner verdiente und mit seiner Holzschubkarre von Haus zu Haus zog, um die Jauchekeller der Bürger zu leeren. 

 

Der Karneval jedoch wurde hier aber immer groß geschrieben. Eine alte Windmühle, die Narrenmühle beherbergt die Narrenakademie und am Rosenmontag herrscht in Dülken stets der absolute Ausnahmezustand. Gerade am Brunnen auf dem Alten Markt ging die Post früher besonders derbe ab. Am Aschermittwoch hatte das Brunnenwasser garantiert einen höheren Alkoholgehalt, als ein belgisches Starkbier. Wenn ich heutzutage an diesem Brunnen vor der Kirche sitze und einen Burger mampfe, kommen mir immer wieder die Dinge in den Sinn, die ich mit diesem Ort verbinde und die mich zum Schmunzeln bringen.

An dieser Stelle hatte ich auch die Idee für die folgende Geschichte.


Der Letzte seiner Art - Schwarzmalerei

Ein Großteil der Materie unseres Sonnensystems ist bereits vor etwa 3,9 Milliarden Jahren durch die Gravitationskraft der Erde oder anderer Himmelskörper eingefangen worden. Jährlich fallen jedoch noch etwa 20.000 Meteoriten zur Erde.

Diese Geschichte nahm ihren Anfang am frühen Morgen des 15. Februar 2013, als ein Meteorit über Tscheljabinsk im Ural explodierte und damit einen Gesteinsregen auslöste, der die Bevölkerung in Panik versetzte. Das führte dazu, dass der russische Vize-Regierungschef ein Internationales Abwehrsystem forderte, um in Zukunft gegen solche Notfälle gewappnet zu sein. Die Kommission der russischen Rüstungsindustrie, die dieses Früherkennungs- und Abwehrsystem für absolut überlebensnotwendig erachtete, rechnete der Welt vor, dass man etwa 900 Milliarden Dollar dafür anlegen müsste, und wenn Russland, die USA, China und die EU zusammenlegen würden, wär’s ja für jeden nicht so viel und schließlich ginge es ja um die Sicherheit, und den Fortbestand der Menschheit. Da die westliche Welt von längst vergangenen Maya-Untergangsprophezeiungen und Blitzeinschlägen im Vatikan leicht an-traumatisiert war, beschloss man, die Bombe zu bauen. Vielmehr drei Laser-Raketen-gesteuerte Wasserstoffbomben. Für alle Fälle, wenn mehrere Asteroiden angeflogen kämen oder falls man beim ersten Mal vorbeischießt oder einfach eine Rakete verschlampen würde. Die Sprengkraft dieser Bomben war jeweils so unvorstellbar groß, dass man damit unseren ganzen Planeten hätte zum Zerbersten bringen können. Die Rüstungsindustriebosse wurden somit noch ein bisschen reicher, die Menschheit glaubte sich damit wieder in Sicherheit, die Welt konnte sich weiterdrehen.

Am 11. Februar 2023 entdeckte das FAS, das Früherkennungs- und Abwehrsystem, einen fast 70 Kilometer großen Brocken, der sich auf Kollisionskurs mit der Erde befand. Aber man war ja nun gewappnet. Als sich der Asteroid auf 150.000 Kilometer genähert hatte, schossen die Russen vom Raumschiff Bahnhof Baikonur die Rakete, die „Big Bang Two ab“. Wie geplant traf die Bombe etwa drei Stunden später ihr Ziel. Doch sie explodierte nicht. Das Geschoss prallte ab, veränderte jedoch die Flugbahn des Asteroiden so, dass dieser knapp an der Erde vorbei raste und für immer in der unendlichen, dunklen Weite des Universums verschwand. Obwohl der zweite Urknall ein Reinfall, ein Blindgänger war, hatte er die Welt vor dem Untergang bewahrt. Die Menschheit atmete kollektiv auf, die Freude kannte keine Grenzen. Aber die Rakete, die nun unsteuerbar durch den Raum trudelte, traf unglücklicherweise, von dessen Schwerkraft angezogen, den Mond und sprengte ein Stück ab, dass so groß war, wie der Krefelder Zoo. Dieser Mond-Asteroid machte sich wiederum auf den kurzen Weg zur Erde und drohte auf die Britischen Inseln zu stürzen. Also startete man Rakete Nummer zwei, „Big Bang Three“, traf und zerstörte das Ziel. Ein großartiges Schauspiel! Die unzähligen Brocken Mondgestein verglühten allesamt in der Erdatmosphäre und zauberten über Westeuropa ein goldenes Lichtspektakel an den nächtlichen Himmel. Doch ein klitzekleines, staubkorngroßes Stückchen überstand Bombardement und den heißen Ritt durch die gasförmige Hülle unseres Planeten, durchschlug das Dach der Cafeteria des Atomkraftwerks Tihange in Belgien, traf genau die Pferde-Leberwurststulle von Jean Luc Prenghell, dem Sicherheitschef des AKW und blieb dort zischend in einem Stückchen Knorpel stecken. Monsieur Prenghell, der davon nichts bemerkte, reagierte, nachdem er sein Nachtmahl mit einem Abteibier heruntergespült hatte, jedoch bös’ allergisch auf den Mondstaub. Sekunden später sah man ihn, mit Schaum vorm Mund, grunzend in das Kühlwasserbecken der Brennstäbe pinkeln. Dies löste eine Reaktion aus, die zum einem GAU, einem SUPER-GAU, einem MEGA-SUPER-GAU führte und die sich auch im Nachhinein kein Wissenschaftler je wird erklären können. Die Reaktoren schmolzen komplett weg und nach wenigen Tagen war Ostbelgien nur noch ein qualmendes, radioaktiv verseuchtes Loch. Das Eindringen des glühenden Kerns in die Erdkruste verursachte einen gewaltigen Vulkanausbruch, der das radioaktive Material über den halben Kontinent verteilte. Rund 500 Kilometer rund um das ehemalige AKW mussten die Bewohner evakuiert werden. Die Benelux-Staaten, Nord-Ost-Frankreich und Nordrhein-Westfalen wurden für die nächsten 300 Jahre zur Todeszone erklärt.

Im Sommer des Jahres 2325 machte sich eine fünfköpfige Gruppe von Wissenschaftlern, darunter Geologen, Physiker und Biologen, auf und startete eine Expedition zum Niederrhein, um zu erkunden, wie es dort nun um Flora und Fauna bestellt war. Ohne die bebauende und Laubbläser führende Hand des Menschen, war von dessen Existenz, von Straßen und Ortschaften kaum mehr, als eine vage Spur übrig. Die Natur hatte sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte ihr Habitat zurückerobert. Die, von Lavaströmen durchzogene Landschaft, war ursprünglich, schroff, teilweise wild überwuchert und voller Leben. So mag es hier in der Steinzeit ausgesehen haben, dachten die Wissenschaftler. Ihre Messungen zeigten keine nennenswerte Reststrahlung an. Also machten sie sich an eine Bestandsaufnahme, zählten Lurche, Käfer und Moose, kartographierten und werteten Boden-, Luft- und Wasserproben aus. Eines schönen Tages entdeckte ein Biologe, als er einer Grottenolm-artigen Kreatur hinterher gestiegen war, in einer Höhle, am früheren Stadtrand von Dülken einen gelben Glassarkophag, der wiederum eine weiße Truhe beinhaltete. Das Wissenschaftsteam stellte fest, dass es sich bei der Ummantelung um eine Telefonzelle aus dem Jahre 1987 und bei dem weißen Innen- Container um einen Gefrierschrank der Marke Turbofrost 2000 handelte. Der Gefrierschrank war über ein gepanzertes Kabel an eine Solarzelleneinheit an der Oberfläche angeschlossen und in Betrieb. Im Inneren, dass zeigten die Messwerte eindeutig, schlug, wenn auch nur ganz langsam, das Herz eines Menschen. Man überlegte nun, was zu tun wäre, wie mit dieser Entdeckung, mit dieser Sensation umzugehen sei. Man entschied sich nach langem hin und her dafür, den letzten Niederrheiner oder Jupp 2.0, so hatte ihn die Presse getauft, nach dem Abtauen des Gefrierschranks im künstlichen Koma in die Universitätsklinik nach Berlin zu bringen. Anschließend wollte man ihn in einer Art Freilichtmuseum aufwachen lassen, dass in Babelsberg extra für ihn und seine Bedürfnisse errichtet wurde, um ihn in Ruhe beobachten zu können. Später, wenn alles gut liefe, wollte man ihn zusammen mit einer Freiwilligen, die zeitgleich in einer Fernseh-Casting-Show gesucht wurde, wieder auswildern. Sein Gehege war die Rekonstruktion eines typisch niederrheinischen Marktplatzes mit Kirche, Kneipen, Kiosk und Eissalon. Aber der 3. Weltkrieg und der 1. Daten-Weltkrieg, der diesem folgte, hatten viele Aufzeichnungen gelöscht, Informationen verschwinden lassen und Wissen für immer in Vergessenheit geraten lassen. So rekonstruierte man den Stadtkern von Dülken und das soziale Gefüge leider recht lücken- und fehlerhaft. Trotz allem schien es zu funktionieren, Jupp 2.0 fühlte sich in seinem neuen Gehege sichtbar wohl, was zum größten Teil daran lag, dass er an einer Amnesie litt und sich an sein früheres Leben nicht erinnern konnte. Von Anfang an war es für ihn ganz normal, jeden Morgen eine Blutwurstsuppe am Büdchen zu essen, um dann, so gestärkt mit den Dorfältesten, dem Polizeichef, dem Rabbi und dem Dampfwalzenfahrer in der Markt-Tränke eine Runde zu stricken. Mittwochs traf er sich mit den Damen vom Schützenverein in der Kirche zum Kartenspielen und jeden Sonntag war Karneval im Hallenbad. Vollkommen gleich, was die Figuren des Holographic-Social-Network-Program mit Jupp anstellen wollten: Er tat es! Er war ein ganz lieber, ganz einfacher, geselliger Mensch. Wenn er genug zu essen bekam, war er zufrieden. Bald merkten die Wissenschaftler auch, dass er zu singen anfing, wenn man ihm Bier, in ausreichender Menge gab. Von da an bekam er jeden Tag Bier zu trinken. Jupp gründete einen Gesangsverein und richtete fortan Liederabende auf dem Marktplatz aus. Die Wissenschaftler, die jeden seiner Schritte per Kamera beobachteten, hatten den knuffigen Jupp schnell in ihr Herz geschlossen, machten sich aber wegen seiner drolligen Art großen Sorgen, ob er in freier Wildbahn überlebensfähig wäre. So kam man überein, dass es für die Erhaltung und das Wohl der letzten rheinischen Frohnatur besser wäre, ihn nicht auszusetzen. Unter Mitwirkung des Produzenten der Casting Show, mittels der man seine zukünftige Lebensgefährtin gesucht hatte, entschied man sich dafür, Jupp und sein neues Weibchen, die vorher eine Menschenrecht-Verzichtserklärung unterschreiben musste, in ihrem Gehege zu belassen. Das ganze wurde dann als Reality-Soap im Fernsehen ausgestrahlt, um über die Werbeeinnahmen Futter und Bier zu finanzieren. Obwohl Jupp und Trixie fortan in einer Scheinwelt lebten, waren sie ein glückliches Paar. Außer einem gewissen Unterhaltungswert konnte die Menschheit aber keinerlei Nutzen aus der Beobachtung der Beiden ziehen, da die Erde, nur einen Tag nach Jupps Ableben, von einem Asteroiden zerstört wurde. 


Alte Tupperdose der Deutschen Post