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Entlang der Nette zum De Wittsee

 

Eine märchenhaft schöne Rundfahrt von gut 20 Kilometern durch das Nettetal kann man am Bahnhof in Boisheim beginnen. Von dort aus ist es nur ein Katzensprung zum Breyeller See. Entlang des Ufers führt ein Weg durch kleine Wäldchen und an Feldrändern vorbei zum Nettebruch. Dort geht es am Westufer über einen schönen, schmalen Pfad weiter bis zur Breyeller Straße, welche Breyell und Lobberich miteinander verbindet. Hier biegt man rechts ab und nach knapp 30 Metern wieder nach links. Den Windmühlenbruch lässt man rechter Hand liegen und radelt Richtung Oberonnert weiter. Dahinter bietet sich die Möglichkeit, am Seeuferweg nach rechts abzubiegen. So gelangt man zum Ferkensbruch. Hinter der Brücke über den Mühlenbach befindet sich seit 2013 eine Fischtreppe, die Aalen, Rotaugen und Flussbarschen hilft, ungehindert von der Quelle zur Mündung und zurück zu gelangen. Mit dieser Maßnahme wurde aber nicht nur der Naturschutz unterstützt. So bietet der Platz, auf dem am Wegesrand Felsen aufgestellt wurden, die Möglichkeit für eine idyllische Rast. An der Lindenallee biegt man links ab und nach etwa 200 Metern geht es wieder nach rechts in den Luethenmühlenweg, der zum Landschaftshof Baerlo führt. Auf den Weiden begrüßen einen zottelige, urtümliche Viecher: Hier werden schottische Hochlandrinder gehalten.

Der Landschaftshof wird von der Arbeitsgemeinschaft Biotopschutz ehrenamtlich betrieben. Die Mitglieder haben sich die Aufgabe gestellt, die bäuerliche Kulturlandschaft des Niederrheins als Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten, aber auch einer lebendigen Kultur, zu erhalten. Zu diesem Zweck führen sie, hauptsächlich im Gebiet des Naturparks Schwalm-Nette, Maßnahmen zum Erhalt und zur Pflege vieler Biotope durch. Weil viele alte Nutztierrassen heute vom Aussterben bedroht sind, haben die Mitglieder des Vereins in jahrelanger, ehrenamtlicher Arbeit ein abwechslungsreiches Freigelände gestaltet. Dort werden alte Hühner- und Gänserassen gehalten und die erwähnte Herde schottischer Hochlandrinder weidet auf dem feuchten Grünland des Landschaftshofes. Verschiedene Ausstellungen und Aktionen sind nicht nur für Familien mit Kindern interessant. 


Iron expanding von Evangelos Papadopoulos

Über die Schanzheide führt der Weg weiter über den alten Bahndamm zum De Wittsee, welcher gleichzeitig Wende- und Höhepunkt der Tour ist. Dort springen einem sofort die fliegenden Stühle ins Auge. Das Werk der Düsseldorfer Künstlerin Ulrike Kessl ist Teil der Kunst-Radroute „fahrArt“. Auf der gegenüberliegenden Seeseite kann man die Installation „Iron expanding“ von Evangelos Papadopoulos bestaunen. Die Ausstellung „fahrART“ zeigt Skulpturen entlang einer etwa 100 Kilometer langen Radroute zwischen Nettetal und Kevelaer. Von Mai 2021 bis Mai 2023 sollen die Kunstwerke dort zu sehen sein.

Hinter dem Restaurant befand sich vor ein paar Jahren noch ein See-Freibad. Eintritt kann man dort heutzutage zwar nicht mehr loswerden, aber schwimmen im See ist immer noch möglich. Ein U-förmiger Betonsteg lädt zum Faulenzen ein und bietet auch Paddlern eine Chance, ihr Gummiboot ins Wasser zu bringen. In den letzten Jahren habe ich von diesem Steg an ruhigen Tagen nicht selten Flusskrebse auf dem sandigen Seeboden beobachten können.

Andere ulkige Lebewesen führten an dieser Stelle im letzten Sommer einen äußerst vergnüglichen Sketch auf. Ich saß, um mich von der Abendstimmung verzaubern zu lassen, auf dem Steg und meine Füße baumelten im Wasser, als klatschend ein Ast neben mir im See landete und die Fische aufscheuchte. Daraufhin war die eindringliche Stimme einer Niederländerin zu hören, die ganz offensichtlich ihren Hund anfeuerte: „Krijk de stok! – Krijk de stok, Harald!“ Aber Harald schaute nur verwirrt auf den See und wedelte ahnungslos mit dem Schwanz. Also nötigte die große, übergewichtige Frau ihren zierlichen Mann, der kaum größer war als der Zwergschnauzer, einen neuen Ast zu suchen und ihr auszuhändigen. Dann wurde auch dieser ins Wasser geworfen und damit der zweite Versuch gestartet, Haralds Jagdinstinkt zu wecken und ihn zum Apportieren zu bewegen. Nach unzähligen Anläufen und minutenlangem: „Krijk de stok! – Krijk de stok, Harald!“, hatte der Schnauzer die Schnauze voll. Harald ging ins Wasser. Er paddelte wie ein Meerschweinchen in der Badewanne. Viel zu kleine Beine und viel zu viel Wasser! „Zwem, Harald, zwem!“ Und Harald schwamm. „Zwem, Harald, zwem!“ Die Frau feuerte ihren kleinen Racker mit steigender Begeisterung weiter an. „Zwem, Harald, zwem!“ Nach einem langen Kampf im fremden Element verbiss sich Harald in einem der zahlreichen Äste, die seine Halterin in den See geworfen hatte. „Jaaa!“ brach es in diesem Moment aus ihr heraus, um ihn nun zur Rückkehr zu bewegen: „Kom, Harald, kom! Kom, kom! Kom hier!“ Harald gehorchte natürlich. Es war sein Lebensinhalt, zu gehorchen. Leider machte der pflichtbewusste Racker dann einen ganz verhängnisvollen Fehler. Vor dem Betonsteg befindet sich eine Wiese. Diese ist durch einen massiven, zwei Meter hohen Zaun, der bis in den See ragt von dem angrenzenden Grundstück getrennt. Harald strampelte auf der falschen Seite des Zauns ans Ufer zurück und wunderte sich dann, dass er seine Beute nun nicht seinem Frauchen zu Füßen legen konnte. „Oh nee! – Harald!?“, tat diese ihre Enttäuschung kund. „Kom hier!“ Aber auch der treuste Zwergschnauzer kann nicht, gleich einer amorphen Lebensform aus einer fernen Welt, durch einen Stahlzaum diffundieren. Mit schräg gelegtem Kopf guckte er nur ziemlich dämlich, das hatte er voll drauf. Also versuchte die Frau ihrerseits, unter gebetsmühlenartigem Rufen nach „Harald“, ihren Hund mit wachsender Verzweiflung dazu zu bringen, noch einmal in den See zu springen und um den Zaun herum zu schwimmen. Aber Harald wollte nicht mehr ins Wasser. Auch der Versuch, ihn mit Leckerli auf ihre, die richtige Seite zu locken., scheiterte. Da war nichts zu machen. Nur die Fische freuten sich über das kostenlose Zusatzfutter. Also befahl Frauchen jetzt ihrem Mann, die Rettung der uneinsichtigen Töle zu übernehmen. Auch dieser zeigte sich kurz bockig, stieg aber dann ins Wasser, da er wohl ahnte, dass seine Frau ihn sonst über den Zaun zu Harald geworfen hätte. Was soll ich sagen, er stellte sich bei der Rettungsaktion so ungeschickt an, dass er ausrutschte und einmal komplett untertauchte. Erstaunlicher Weise blieb er dabei vollkommen ruhig und schien seinen Untergang zu akzeptieren, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Frau blieb weniger entspannt und schimpfte auf ihn ein, während er auf der anderen Seite des Zauns wieder an Land ging und sich dort Harald unter seine kurzen Arme klemmte. Als er mit dem geretteten Tier wieder tropfend vor seiner Frau stand, sah das Männlein einem begossenen Pudel wirklich sehr ähnlich. Zumindest beruhigte sich seine Angetraute sofort wieder, als sie ihren Liebling unverletzt zurückbekommen hatte. Das Hündchen war ebenfalls happy, wahrscheinlich weil das quäkende Flehen seiner Besitzerin endlich ein Ende gefunden hatte. Nur das Männlein wirkte jetzt noch geknickt. Ich schenkte dem tragischen Helden als Trostpreis mein Handtuch. Der arme Tropf brauchte ganz dringend eine aufbauende Geste beziehungsweise einfach etwas zum Trockenlegen. Für mich war die ganze Sache zwar äußerst unterhaltsam aber doch auch extrem anstrengend gewesen. Denn bis zu diesem Tag hatte ich das letzte Mal vor Jahrzehnten, zu Schulzeiten, mit aller Kraft versucht einen bösen Lachkrampf zu vermeiden.

Doch lassen wir diese Szene und das alte Freibad jetzt hinter uns. Der Weg schlängelt sich am Seeufer entlang durch eine märchenhaft schöne Landschaft. Ohne viel Mühe kann man hier unzählige Vögel und Amphibien beobachten. Kommt man zur Brücke über die Nette, lohnt es sich, noch ein paar Meter weiterzugehen, um auf den Vogelbeobachtungsposten zu klettern und von dort die Aussicht zu genießen. Überquert man dann die Brücke, kommt man in einen Wald. Wenn man dann einmal links und darauf zweimal rechts abbiegt, landet man am NABU Naturschutzhof Nettetal. Schon aus einiger Entfernung ist er an seinem Wahrzeichen, dem „Lebensturm“ erkennbar. Der Hof besteht seit 1985 und wird seitdem mit großem ehrenamtlichem Engagement betrieben. Er bietet Besuchern aller Altersgruppen spannende Entdeckungen rund um die Natur in der Nähe des Menschen. Im Holzhaus werden ganzjährig Naturprodukte wie Säfte und Honig, außerdem handgefertigte Nisthilfen für Vögel und Insekten verkauft. Frisches Obst von heimischen Streuobstwiesen bereichert das Angebot ab Spätsommer. Sternrenette, Schöner von Elmpt und Schafsnase sind nur einige der seltenen und schmackhaften Sorten. Das große Außengelände ist jederzeit zugänglich und zudem barrierefrei.

Vom Hof aus links geht es über die Straße weiter, bis man wieder den alten Bahndamm erreicht hat. Dort führt ein Weg nach rechts, zwischen dem kleinen und großen De Wittsee hindurch. Biegt man hinter den Seen wieder links ab, kann man sich noch von den schottischen Hochlandrindern verabschieden, bevor man zurück zum Startpunkt am Bahnhof in Boisheim radelt.

Für diese Rundfahrt von nur etwa 20 Kilometern sollte man dennoch mindestens einen halben Tag einplanen, da die Strecke sehr abwechslungsreich ist und es besonders für aufmerksame Beobachter oft unverhofft Lustiges, Interessantes und Beschauliches zu entdecken gibt.

Ruhe auf dem alten Bahndamm am De Wittsee